Die deutschen FinTechs N26 und Wefox sind es bereits, Trade Republic, Smava oder Clark könnten es bald werden: Die Rede ist von sogenannten "Einhörnern", also jungen Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen, die mehr als eine Milliarde US-Dollar wert sind. Der Einhorn-Status ist erreicht, sobald ein Wagniskapitalgeber für eine Beteiligung von einem Prozent mindestens zehn Millionen Dollar bezahlt. Ausgestattet mit einem Vertrauensvorschuss bekannter Investoren und frischem Geld können die Börsenstars von morgen ihr Geschäft weiter ausbauen, den Bekanntheitsgrad steigern und erfolgreich um neue Kunden werben.
Lange Zeit gedieh die wertvolle Spezies vor allem in den USA. Zu den bekanntesten und wertvollsten Einhörnern aus dem Finanzsektor gehört beispielsweise der Bezahldienst Paypal. Jüngere Beispiele liefern der Bitcoin-Broker Coinbase, der soeben einen erfolgreichen Börsenstart hinlegte, oder der Online-Broker Robinhood, der ebenfalls den Börsengang plant. Internationale Bekanntheit bescherte der Discount-Broker seiner Branche vor wenigen Wochen mit dem von ihm ausgelösten Hype um die Gamestop-Aktie. Robinhood-Kunden hatten sich abgesprochen und über die gebührenfreie Trading-App gezielt Aktien des angeschlagenen Videospielehändlers gekauft. Damit trieben sie den Kurs zwischenzeitlich um mehr als 1.700 Prozent in die Höhe. Die weltweite Berichterstattung hat auch hierzulande vor allem bei jüngeren Kunden das Börseninteresse angefacht und deutschen Online-Brokern wie Trade Republic oder Justtrade neue Kunden beschert.
Denn auch die deutsche FinTech-Landschaft blüht zunehmend auf. 2020 erreichten die Venture Capital-Investitionen in FinTechs hierzulande ein Rekordhoch von 1,2 Milliarden US-Dollar, umgerechnet also knapp eine Milliarde Euro. Das melden die Analysten der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG im aktuellen Marktreport "Pulse of Fintech H2'20". Beschleunigt durch die weltweite Corona-Pandemie verändern sich die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Kunden auch in Bezug auf das Thema Finanzen und schaffen Raum für neue digitale Angebote.
Beispiel Sparen und Anlegen: Während die Zahl der Bankfilialen auch 2021 kräftig weiter schrumpfen wird, verzeichnen Trading-Apps oder Robo-Advisor wie Scalable Capital oder Quirion Rekordzuwächse. Über die digitalen Plattformen können private Anleger nicht nur kostengünstig mit Wertpapieren handeln, sondern auch automatisiert in Exchange-Traded Funds (ETFs) investieren. Ein boomendes Geschäft, denn immer mehr Kunden suchen nach kostengünstigen und bequemen Wegen, um in Niedrigzinszeiten Vermögen aufzubauen. In seiner jüngsten Prognose geht der Vermögensverwalter Blackrock davon aus, dass sich die Zahl der abgeschlossenen ETF-Sparpläne in Deutschland bis 2025 auf 9,1 Millionen Verträge mehr als verdreifachen wird. Das jährliche Sparvolumen soll dabei sogar von 3,6 auf 15,7 Milliarden Euro klettern. Einen Großteil dieses Wachstumsmarktes wollen die neuen digitalen Finanzdienstleister an sich ziehen. Ihr Werbeversprechen: Flexible Altersvorsorge ohne Provision, jahrzehntelange Vertragsbindung und lästigen Papierkram.
Beispiel Versicherungen: Ähnlich wie die neue digitale Konkurrenz im Bereich Banking und Geldanlage wollen deutsche Insurtechs wie Clark oder Wefox auch den Markt für Versicherungen aufmischen. Zu den Investoren des digitalen Versicherungsmaklers Clark gehört seit kurzem der chinesische Technologiekonzern Tencent, der mit WeChat eine der meistgenutzten Finanz-Apps der Welt betreibt. Am Digitalversicherer Wefox ist unter anderem Samsung beteiligt. Die neuen Anbieter haben vor allem jüngere, online-affine Kunden im Visier, die wenig Lust auf Kleingedrucktes haben. Im Mittelpunkt der Kundenansprache stehen deshalb auch hier Transparenz, Bequemlichkeit und Kostenersparnis durch schlanke, passgenaue Tarife.
Die Altersgruppe der 20- bis 40-jährigen als Neukunden von morgen zu erreichen werde zunehmend zur Herausforderung, schreibt die Beratungsgesellschaft Oliver Wyman in einem aktuellen Ausblick auf den Versicherungsmarkt 2030. Viele der klassischen ersten Berührungspunkte mit dem Thema Versicherung würden nicht mehr funktionieren: sei es die Versicherung des ersten eigenen Autos, der angestammte Versicherungsvertreter der Eltern oder der klar vorgezeichnete Einstieg ins Berufsleben samt zugehöriger Absicherung. Gefragt seien innovative, digitale und datengetriebene Vertriebskonzepte und passgenaue Leistungsangebote. Vorausschauende Berater sollten sich rechtzeitig darauf einstellen und die Entwicklung des digitalen Angebotes aufmerksam im Blick behalten.
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